Ich warte auf dich.

 

Aus: Das Vaterherz Gottes von Floyd McClung, Jugend mit einer Misssion, Frankfurt a. M. 1989. Textausschnitt leicht bearbeitet von R. Quittek.

 

Sawat war nach Bangkok gekommen, weil er sich in dem kleinen Dorf, in dem seine Eltern wohnten, nicht mehr wohl fühlte. Er hatte auf dem Hof seines Va-

ters gearbeitet, aber er träumte von Größerem.

 

Als er zum erstenmal in das große Hotel in Bangkok kam, war er fassungslos. Jedes Zimmer in den oberen Stockwerken hatte ein Fenster, das auf den Korri-

dor ging. Hinter jedem Fenster saß ein junges Mädchen, zwölf oder dreizehn

Jahre alt, vielleicht noch jünger - Prostitution in Thailand.

 

In der ersten Zeit verkaufte Sawat Opium an die Kunden der Mädchen, bald

aber ließ auch er sich auf den Mädchenhandel ein. Waren die Mädchen neun oder zehn Jahre alt?

 

Sawat war bald ein angesehener und beliebter Geschäftsmann. Der Mädchen-handel machte ihn reich. Doch dann nahm alles eine rasche Wende. Ein Un-

glück folgte dem anderen. Alles ging schief. In der Unterwelt verbreitete sich

das Gerücht, daß Sawat ein Polizeispitzel sei. Mit Sawat war es aus. Niemand hielt mehr zu ihm.

 

In dieser schlimmen Situation erinnerte er sich an das kleine Dorf, an Vater

und Mutter. Er dachte an die Worte, die sein Vater beim Abschied zu ihm ge- sagt hatte: "Ich warte auf dich." 

 

Ob sein Vater immer noch auf ihn wartete? Nach allem, was sein Sohn ihm

angetan hatte? Die Nachrichten über Sawats Leben in Bangkok hatten auch

das kleine Dorf erreicht und über Sawats Familie Schande gebracht.

 

 Sawat entschloß sich, einen Brief zu schreiben. 

 

Lieber Vater, schrieb er, ich möchte nach Hause kommen, aber ich weiß nicht,

ob du mich zu Hause haben willst. Ich habe hier in der Stadt ein schlimmes Leben geführt und dir dadurch großen Schmerz bereitet. Bitte vergib mir!

 

Am Sonntagabend werde ich in dem Zug sein, der durch unser Dorf fährt. Wenn

du immer noch auf mich wartest, häng bitte ein weißes Stück Stoff an den Baum vor unserem Haus! Sawat.

 

Während der Zugfahrt dachte Sawat über sein vergangenes Leben nach. Er wußte, daß er seinen Vater tief verletzt hatte. Mit vollem Recht konnte er sich weigern, seinen Sohn wieder aufzunehmen.

 

Der Zug fuhr und fuhr, und Sawat war voller Unruhe. Was sollte er tun, wenn

kein weißes Stück Stoff an dem Baum hing, wenn sein Vater ihm nicht verge-

ben wollte?

 

Schließlich ertrug er die Spannung nicht mehr. Er schüttete dem freundlichen,

alten Herrn, der ihm gegenüber saß, sein Herz aus.

 

Als der Zug sich dem Dorf näherte, sagte er zu ihm: "Ich wage es nicht, zu

dem Baum hinzusehen. Würden Sie das für mich tun?" Sawat fing an zu wei- 

nen und verbarg das Gesicht in den Händen. "Unser Haus müßte schon zu

sehen sein," sagte er schluchzend, "es ist das einzige Haus mit einem Baum davor." 

 

"Junger Mann," sagte der Mitreisende nun, "ich sehe den Baum und das Haus.

Ein Stück Stoff, sagten Sie? Nicht nur ein Stück Stoff hängt an dem Baum - der Baum ist ganz und gar mit weißen Stoffstücken behängt!"

 

Sawat traute seinen Augen nicht. Dort stand der Baum, ganz in Weiß gehüllt, und vor dem Haus schwenkte sein Vater ein riesiges Stück Stoff hin und her. Als der Zug hielt, lief er seinem Sohn mit ausgebreiteten Armen entgegen.

 

"Ich habe auf dich gewartet," rief er, und Freudentränen rannen über sein Gesicht, "endlich bist du da! - Mein Sohn ist nach Hause gekommen," rief

er den Umstehenden zu, "mein Sohn ist wieder da!"

 

 

... ebenso herrscht bei den Engeln Gottes Freude über einen einzigen Sünder, der umkehrt. (Lk 15,10)